Freitag, 3. April 2009

Bericht Amundsen Race 2009

Nach drei Starts in der Acht-Hundeklasse beim Femundlauf in Norwegen fühlte ich mich eigentlich ausreichend vorbereitet mit einem sogenannten 'offenen' Gespann (ab zwölf Hunden aufwärts) an den Start eines Rennens zu gehen. Doch schon bei den Vorbereitungen bemerkte ich, dass dies ein Start in einer neuen Liga werden würde. Die Pakete mit Booties, Futter und Snacks für unterwegs waren um einiges größer als die für nur acht Hunde und der Schlitten war - fertig gepackt für die erste Etappe - mehr als nur leicht überladen.

Donnerstag früh machten wir uns auf den Weg nach Östersund, noch rechtzeitig genug um die Formalitäten vor dem Start zu erledigen.
Die Nacht auf Freitag verbrachten wir gut in unserem 'Busle' mit Standheizung, nur das Frühstück wollte nicht so richtig schmecken. Der Tag zog sich endlos dahin.
Um fünfzehn Uhr konnten wir auf den See zum Startplatz fahren und dort Schlitten und Hunde ausladen.



Spätestens jetzt hatten die Hunde die Lage erkannt und waren kaum noch zu beruhigen. Jack, der zum ersten Mal bei einem Rennen dabei war, zeigte sich überhaupt nicht beeindruckt und regte sich besonders über vorbeispazierende Hunde auf. So mussten wir nochmals drei lange Stunden verbringen bis endlich alle Hunde an der langen Leine eingespannt waren und der Scooterfahrer auf dem See seine rote Fahne hisste, was bedeutete dass es noch zwei Minuten bis zum Start waren. Die Spannung unter den fast 50 Teams, Handlern und ca. 700 Hunden war zum Zerreissen gespannt.



Beim Startsignal wollte ich mein Anbindeseil lösen - aber es passierte nichts!!! Ich hatte mehr Aufmerksamkeit auf die Haltbarkeit als auf die Lösbarkeit des Knotens verwendet. Michi kam angerannt um mir zu helfen, ich nahm kurzerhand mein Messer und schnitt das Seil durch, konnte gerade noch den Schlitten mit beiden Händen greifen als es auch schon auf die Jagd nach den anderen davoneilenden Teams ging. (Auf You Tube habe ich zufällig einen Videoclip von unserem Start gefunden, wir sind das Team auf der linken Seite.)


Direkt in meiner Startlinie befanden sich tiefe Overflows, also nasse Stellen auf dem See, in die mein überladener Schlitten tief einbrach. Zum Glück konnte ich mich voll auf meine erfahrenen Leader Bente und Nele verlassen, die mich um weitere nasse Stellen herumführten.
Die nächsten zwei, drei Stunden waren Stress pur. Überall waren Hunde, links, rechts, vor mir, hinter mir.... nun bloss keine Verwickler, nur nicht mit einem anderen Team zusammenstossen. Schon bald befanden sich alle Teams in einer Linie und die Spur war so schmal, dass ein Überholen praktisch ausgeschlossen war. Ich zählte mindestens zwanzig Gespanne vor mir, davon waren zwei schon weit enteilt. Ich und die anderen mussten uns unserem Schicksal fügen und die nächsten zwanzig, dreissig Kilometer langsam in der Kolonne fahren.
Welche Erleichterung, als es dann endlich auf Scooterwegen durch waldiges, hügeliges Gelände ging und ein Überholen möglich wurde.

Leider überholte nicht nur ich, sondern auch wir wurden von einigen Teams mit beträchtlichem Tempo überholt. Ich kam mir ziemlich langsam vor, dachte mir, dass die zwölf Hunde doch besser die Berge hochziehen müsste. In einer Abfahrt touchierte ich mit meinem schweren, fast unlenkbaren Schlitten ein Scooterkreuz, meine zwei schweren Anker lagen unhandlich auf dem Handelbar.
Erst als ich zwei meiner großen 'Snacktüten' verfüttert hatte ging es etwas besser und gegen Ende der Etappe erkannte ich einige 'prominente Musher' und registrierte dass ich mit Platz 12 nicht so schlecht im Rennen lag.

Im Checkpoint Ljungdalen machte ich 40 Minuten länger Pause als eigentlich geplant war, da ich dies nach der fast elfstündigen ersten Etappe für notwendig hielt.

Auf der zweiten Etappe war es recht windig, aber die Sicht war in Ordnung. Strecken übers baumlose Fjäll mit Wind sind Bentes Spezialdisziplin, deshalb spannte ich sie zusammen mit Steels in die Leadposition. Ich war ja im Vorfeld darüber informiert worden, dass auf dieser Strecke viele Höhenmeter zusammen kommen, war dann aber doch überrascht, dass die Berge vor allem im zweiten Teil der Strecke kein Ende nahmen. Scheinbar sinnlos führte der Scooterweg anstatt seitlich an der Hügelkette vorbei, in endlosen steilen Anstiegen und Abfahrten den Berg hoch und runter. Was mit einem Scooter vielleicht Spass machen kann, wurde für mich und die Hunde zur Qual. Ich versprach den Hunden hundertmal, dass dies der letzte Berg sein musste - ein Versprechen dass ich hundertmal brechen musste.
Leider war ich auf dieser Etappe fast alleine unterwegs, bis auf Ketil Reitans Team traf ich kein anderes Gespann.

Um 13 Uhr 30 trabten meine zwölf noch relativ fitten Hunde in den Checkpoint Tänndalen ein.


Nachdem ich die Hunde versorgt hatte, konnte ich mir anschliessend zwei Stunden Schlaf gönnen, die dringend erforderlich waren.
Wieder zurück bei den Hunden musste ich feststellen, dass Tom sein ganzes Fressen erbrochen hatte und ziemlich jämmerlich dreinschaute. Ich beschloss ihn aus dem Team zu nehmen, denn falls er unterwegs schlappmachen würde, müsste ich den schweren Hund in den Schlitten laden und bis zum nächsten Checkpoint bringen, was ich auf keinen Fall riskieren wollte.

Um 19 Uhr 30 startete ich in die zweite lange Nacht, noch nicht ahnend wie schwer diese Etappe für mich werden würde. Die steilen Berge lagen jetzt hinter uns und die Hunde galoppierten recht zügig auf den breiten, festen Scooterwegen. Leider war ich wieder völlig alleine unterwegs und selbst auf den weiten Strecken über endlos lange Seen konnte ich keine Stirnlampen vor oder hinter mir entdecken. Ich begann sehr sehr müde zu werden.
Plötzlich hörte ich Stimmen, Lachen, laute Musik - ich sass mit Freunden zuhause in Deutschland in unserer Stammkneipe - ich schüttelte mich - nein ich fahre auf dem Hundeschlitten durch die Nacht. Ich musste mich wachhalten, wollte etwas essen. Ich befestigte den Skistock an einer Neckline um den Handelbar, griff nach dem Beutel mit Schokolade und Nüssen, schwupps hatte ich ihn verloren, will nach dem Stock greifen - aber er ist nicht mehr da. Ich hatte das Gefühl, dass mein Gehirn nicht mehr funktioniert!!!
Mir fiel nicht eine einzige Melodie ein, kein einziges Lied, das ich vor mir her singen konnte. Die Hunde liefen und liefen durch die lange kalte Nacht. Der Kältenebel auf den Seen machte das Ganze noch gespenstiger. Ich verlor jedes Gefühl für Zeit und Raum.

Dann rissen mich zwei Lichtkegel aus meinem Dämmerzustand, mein erster Gedanke war, dass es Scooterfahrer sein müssten, die hinter mir im Dunkeln auftauchen. Es waren aber zwei Hundeteams, eines davon Karsten Grönas mit seinen Sibierian Huskies, die mich mit enormer Geschwindigkeit überholten.
Leider hatte ich auf Grund meiner Müdigkeit das Tempo meines Teams nicht einschätzen können und anstatt in vollem Galopp, wie es mir vorgekommen war, waren die Hunde und ich wohl nur in gemütlichem Trab dahingetrottet. Somit hatten ich auf die Konkurrenten ziemlich viel Zeit verloren und war auf den 18. Platz zurückgefallen.

Der Checkpoint Grövelsjön war ein sogenannter 'Wilderness Checkpoint' - hier war es den Fahrern verboten sich von ihren Handlern verpflegen zu lassen und folgenderweise war es auch nicht erlaubt sich ins warme Auto zu begeben. Nach so einer anstrengenden Nacht und den Temperaturen von unter minus 20 Grad war ich davon nicht gerade begeistert. Aber ich war wahrscheinlich zu müde und zu fertig um mir darüber weitere Gedanken zu machen und packte den Schlafsack und Windsack aus und legte mich zu Cindy aufs Stroh.


Ich hatte Michi gebeten mich nach eineinhalb Stunden zu wecken. Ich wachte aber schon früher auf und als ich bemerkte, dass es schon hell war, schälte ich mich recht schnell aus dem Schlaf- und Windsack heraus.
Der Checkpoint war wunderschön mitten im Hochfjäll gelegen und die Sonne lugte schon über die weissen Bergkuppen. Ein neuer Tag - ein neues Glück. Unglaublicherweise fühlte ich mich erholt und gestärkt für die letzte lange Etappe. Aber zunächst musste ich mich eine Viertelstunde lang warmjoggen bevor ich mich überhaupt richtig bewegen konnte.
Ich führte alle Hunde etwas an der Leine herum um festzustellen ob sie fit genug für die letzten 120 km waren. Jack war sehr müde und ich nahm ihn wie vorgesehen aus dem Rennen. Auch Bruna lief nicht 'rund' wie man sagt und so durfte sie die letzte Etappe im Auto in Angriff nehmen.

So startete ich um kurz vor acht mit meinen verbliebenen neun Mädels in einen wunderbaren, sonnigen Tag hinein. Endlich war das meiste Futter aufgebraucht und ich hatte meinen großen Schneeanker an Michi abgegeben. Der Schlitten hatte somit wieder ein normales Gewicht erreicht und war endlich wieder gut lenkbar.

Ab hier waren die Trails so wie wir es vom Femundlauf und von zuhause kannten: schmale, hügelige und unebene Trails mit vielen Kurven. Mit Tafi und Nele im Lead kamen wir wunderbar vorwärts und überholten schon bald einige Teams. Vor dem langen Femundsee besorgte ich mir im Wald einen Stock und schob damit auf der 20 km langen Strecke über den See kräftig an.
Kurz vor Tufsingdalen wurde es richtig warm und ich bemerkte, dass Merckx sehr müde wurde. Als sie schliesslich zu schwanken begann, lud ich sie auf den Schlittensack. Zum Glück erreichten wir bald Tufsingdalen und ich konnte Merckx an Michi übergeben.

Die letzten 40 km kannten die Hunde gut vom Femundlauf und so erreichten wir Mädels flott und problemlos um 18 Uhr 12 das Ziel in Röros.
Dort erfuhr ich, dass ich auf der letzten Etappe noch den 13.Platz erreicht hatte, nur fünf Minuten hinter Nicole Burger, der schwedischen Meisterin. Leider stand mir der Titel der schwedischen Vize-Meisterin nicht zu, da wir dafür noch nicht lange genug in Schweden wohnen.






Was nun folgte war Luxus pur: eine heiße Dusche und danach ins Hotelbett und schlafen, während Michi die Hunde versogen musste.

Zusammen mit vier weiteren Teams waren wir für den 'Veterinärspreis' nominiert. Dieser mit 10 000 norwegischen Kronen sehr hoch dotierte Preis wird an den Musher vergeben, der nach Ansicht der Veterinäre am sorgfältigsten seine Hunde versorgt und pflegt. Ein wichtiges Kriterium ist, dass müde und verletzte Hunde sofort aus dem Rennen genommen werden. Den Preis sollte dasjenige Team erhalten, das am Tag nach dem Rennen noch so fit ist, dass alle Hunde sofort wieder starten könnten.

Bei der Veterinärsbesichtigung am nächsten Tag wurden die Hunde sehr sorgfältig von den Tierärzten untersucht. Leider wurden bei Bente geschwollene Karpalgelenke festgestellt, ein sofortiger Start wäre für sie nicht möglich. Damit konnten wir den Preis nicht erhalten.

Jetzt, einige Tage nach dem Zieleinlauf habe ich mich wieder einigermassen erholt, viel geschlafen und gegessen. Die wenigen Pausen und die knüppelharten Etappen machten das Rennen zu einem extremen Erlebnis. Für die Handler war es übrigens kaum weniger anstrengend, es wurde schon von einer Rallye Monte Amundsen gesprochen. Auf der Fahrt nach Grövelsjön mussten die Handler über 100 km auf einer extrem schmalen, kurvigen und bergigen Straße zurücklegen, das Ganze bei Schneeverwehungen und mitten in der Nacht.

Fast unglaublich ist aber die Leistung der Hunde, die Kilometer für Kilometer scheinbar unermüdlich vor dem Schlitten laufen. Dafür hatte sich nun auch jeder Hund einen riesigen Elchknochen verdient.

Michi und ich können noch gar nicht glauben, dass die Saison schon zuende ist. Wir würden am liebsten das ganze Jahr über Schlitten fahren. Aber wir können ja den Sommer über von neuen Rennen, Herausforderungen und Abenteuern träumen. Wir sind stolz darauf, dass wir in unserer ersten Saison schon sehr viel richtig gemacht haben. Sicherlich lässt sich aber noch die Trainingsgestaltung, Ausrüstung und die Fütterung optimieren. Wir bedanken uns ganz herzlich bei unserer Familie und unseren Freunden (ganz besonders beim 'Presseteam'), die uns immer unterstützt und geholfen haben. Ausserdem bei unseren Gästen, die alle sehr umsichtig mit unseren Hunden gefahren sind, so dass sich den ganzen Winter über kein einziger Hund bei einer Schlittenfahrt verletzte. Tack så mycket.

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